Online-Gschichtl Nr. 17

Ein baulicher Riese

An der Ecke Fleischgasse/ Jägerzeile erhebt sich in Mannersdorf ein baulicher Riese. Die Rede ist vom Schüttkasten, der heute besser als Stadtmuseum bekannt ist. Michael Schiebinger berichtet diesmal über die ursprüngliche Funktion des Gebäudes…

 

Um die Funktion des Schüttkastens zu verstehen, muss man ein wenig in die Geschichte zurückblicken. Seit langem hatten die Bauern auf ihren Höfen Lagerorte für das Getreide und andere Früchte. Auch die Herrschaftsinhaber betrieben eigene Landwirtschaften und mussten eine entsprechende Infrastruktur bereithalten. Die herrschaftlichen Wirtschaftshöfe entstanden meist in der Nähe der Burgen und Schlösser und wurden als „Meierhöfe“ bezeichnet. Zur Lagerung des gedroschenen und ungedroschenen Getreides wurden Kasten- bzw. Speicherbauten errichtet. Neben der eigen erwirtschafteten Frucht hatten diese Gebäude auch den Getreidezehent aufzunehmen, also jenen Anteil den die bäuerlichen Untertanen als Sachleistung der Herrschaft abzugeben hatten. Die herrschaftlichen Speicher oder Schüttkästen wurden seit dem Mittelalter errichtet, erlebten aber im 16. Jahrhundert einen besonderen Boom. Damals stiegen die Preise für das Getreide nämlich um 200 bis 300 %, sodass dieses ein willkommener Gewinnbringer wurde.

Auch im Meierhof des Mannersdorfer Schlosses war im 16. Jahrhundert, als südlicher Abschluss des Anwesens, ein Schüttkasten errichtet worden. Der Renaissancebau von 1579 war in stattlichen Ausmaßen unter den Herren von Polheim als Pfandinhaber der Herrschaft entstanden. Die Baukosten betrugen mit jenen der Stallungen 274 Gulden, dies entspricht im Silberwert etwa 31.000 Euro. In einer Beschreibung des Meierhofes aus dem Jahr 1584 wird der neue „Traitcasten“ bereits unter den Bauten angeführt.

Von außen ist der Schüttkasten recht schlicht gestaltet, an den Schmalseiten bestehen hohe Giebel, die das große Satteldach aufnehmen. Der Zugang erfolgt von Norden, aber auch von Osten. Der Bau wirkt wehrhaft und das nicht von ungefähr, denn das Getreide sollte auch vor Dieben sicher gelagert sein. Die querrechteckigen Fenster sind klein gehalten, sie dienten dem kontrollierten Luftdurchzug und waren mit Gittern vor Vögeln geschützt. Im Inneren bestehen mehrere Geschosse, die als Schüttböden genügend Raum boten – dabei müssen wir uns die jüngeren Zwischenwände wegdenken. Das Getreide wurde möglichst locker und nicht allzu hoch aufgeschüttet, es wurde zudem mehrfach im Jahr gewendet. Zur besseren Statik, aber auch um Feuerschutz zu bieten, wurde der Keller, das Erdgeschoss und der Treppenaufgang mit Gewölben ausgeführt. Die unteren Ebenen eigneten sich weniger für die Getreidelagerung, hier konnten Wein, Erdäpfel oder andere lagerfähige Lebensmittel untergebracht werden.

Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde die Landwirtschaft im Meierhof fortgeführt und auch der Schüttkasten weiter genutzt. Mit dem Ende der Grundherrschaft nach 1848 und der Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern endete deren Abgabenpflicht gegenüber dem herrschaftlichen Gut. Daher wurde fortan vor allem das herrschaftseigene Getreide im Schüttkasten gelagert. Die endgültige Nutzung des Gebäudes wurde dann im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgegeben. Viele ältere Bewohner von Mannersdorf können sich noch an die ursprünglichen Schüttböden erinnern. Mit dem Ankauf des Schlosses in der NS-Zeit gelangte auch der Schüttkasten 1942 in das Eigentum der damaligen Marktgemeinde. Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das Gebäude zunächst das Lagerhaus, wurde aber auch als gemeindeeigener Lagerraum genutzt.

Mit dem Ende ihrer ursprünglichen Bestimmung verfielen viele der herrschaftlichen Schüttkästen in Niederösterreich. Andere konnten durch eine neue, geänderte Nutzung als Kultur- und Veranstaltungsorte erhalten werden. Der Mannersdorfer Schüttkasten blieb durch die Umsicht der damaligen Verantwortungsträger bestehen, er überlebte die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit und den Abbruchwahn der Wirtschaftswunderjahre. 1973 wurde der Schüttkasten an den vier Jahre zuvor gegründeten Kultur- und Museumsverein übergeben. Der denkmalgeschützte Bau wurde revitalisiert und 1979 als Standort des neugegründeten Museums eröffnet. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Geschosse schrittweise in die museale Nutzung miteinbezogen. Als Mannersdorfer dürfen wir heute glücklich sein, einen der größten erhaltenen Schüttkästen unserer Region zu besitzen. Darin untergebracht eines der zweifelsohne reichhaltigsten Stadtmuseen Österreichs, dessen überregionale Bedeutung bis heute noch nicht allen bewusst scheint!


Foto 1: Schüttkasten, 1955

Foto 2: Schüttkasten, 1963

Foto 3: Übergabe an den Kultur- und Museumsverein, 1973

Foto 4: Eröffnung des Museums, 1979

Foto 5: Weitere Renovierung des Schüttkastens

 

Quellen: Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf, Archiv Michael Schiebinger