Online-Gschichtl Nr. 123

Das Mannersdorfer "Westend"

Egal ob Berlin, Frankfurt, München oder London, all diese Städte haben ihr „Westend“. Also einen Stadtteil, der das westliche Ende der alten Siedlungsgrenzen markiert, meist gutbürgerlich und auch ein wenig hipp. Auch in Mannersdorf gibt es – natürlich mit etwas Augenzwinkern – ein „Westend“, das Grätzel um die Hoferstraße, dem Michael Schiebinger das heutige Online-Gschichtl widmet. Er dankt Johann Ackerl und Heribert Schutzbier für zahlreiche Hinweise.

 

Die Hoferstraße erstreckt sich in Mannersdorf zwischen der Ortstafel und dem Kreisverkehr auf gut 500 Metern. Sie ist die Ausfahrtsstraße nach Westen, nach Hof, wie der Name schon sagt. Etwas kürzer ist die parallel verlaufende Rosengasse mit 270 Metern, die mit ihrer Bebauung eng mit der Hoferstraße verbunden ist.

Die Besiedlung der Hoferstraße setzte erst relativ spät ein, zwar wurden bereits im Jahr 1565 „Neustiftler vor dem Obern Thor“ gegen die Seeschlachten erwähnt, doch handelte es sich dabei um die ersten Bewohner der heutigen Halterzeile. Im Jahr 1584 wurde eine Flur „Hofbraiten beim obern Thor“ erwähnt, die sich gegen Hof erstreckte. 1743 wurden dann die Hurtäcker „an Hoffer Weg“ genannt, die 1787 nochmals angeführt wurden. Eine erste Detaildarstellung der Bebauung der Hoferstraße liefert der Franziszeische Kataster aus dem Biedermeier. Er zeigt die heutige Straße als weitgehend unbebaute Allee, auch die spätere Rosengasse zeichnete sich bereits an Hand der Parzellengrenzen ab. Die Wiesenfläche zwischen den beiden Straßen war unbebaut, wenn man von der Pest- oder Sebastianikapelle absieht. An Stelle des jetzigen Pfarrhofes bestand bereits ein Gehöft und im Bereich der Rosengasse existierte solitär das nordöstlichste Haus (Steinbuchstraße 2).

Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch entstanden offenbar keine zusätzlichen Bauten im Bereich der Hoferstraße, wie das Aufnahmeblatt der Franzisko-Josephinischen Landesaufnahme von 1872 zeigt. Vor dem Jahr 1892 bestand an der Hoferstraße die in Gemeindebesitz stehende Franzosenwiese. Die Gründe an der Hoferstraße waren also lange landwirtschaftlich genutzt. Alliierte Luftaufnahmen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zeigen, dass mittlerweile doch einige Gebäude an der Hoferstraße entstanden waren – drei Stadeln und einige kleine Wohnhäuser. Die drei Stadln – einer wich bereits einem Wohnbauprojekt – sind in gleicher Bauweise und Gestaltung aus Bruchsteinmauerwerk errichtet worden. Der Form und Gestaltung nach dürften sie wohl um 1900 entstanden sein. Auch das Giebelhaus Hoferstraße 2 scheint aus diesem Zeitraum zu stammen. Das Haus Nr. 35 und das einzelne letzte Haus der Hoferstraße könnten ihrer Architektur wegen in der Zwischenkriegszeit dazugekommen sein.

Auch die Rosengasse weist eine relativ junge Bebauung auf. Wie Heribert Schutzbier berichtet, galt die Rosengasse lange Zeit als Teil der Hoferstraße. In der Mitte des Straßenverlaufes stand bis in das 19. Jahrhundert die bereits erwähnte „Pest- oder Sebastianikapelle“. Ihr Gründungsjahr ist unbekannt, so Heribert Schutzbier, sie dürfte aber aus Dankbarkeit für das Erlöschen der Pestepidemien des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden sein. 1761 wurde die Kapelle bei einer Visitation als gemauert und gewölbt beschrieben, sie hatte ein Türmchen und eine Glocke – monatlich wurde hier eine Messe gelesen. Im Zuge der Josephinischen Reformen der 1780er-Jahre wurden viele als unnötig erachteten Kirchen und Kapellen geschlossen. In Mannersdorf traf es auch die Sebastianikapelle, die für 40 Gulden an die Gemeinde verkauft wurde. Die Kapelle wurde wohl entweiht und verfiel. Später wurde sie auch als Cholerakapelle bezeichnet und am 16. August 1841 neu geweiht. Zuvor hatte sie Marktrichter und Steinmetzmeister Joseph Lichtenecker renovieren lassen. Es scheint fast so, als hätte man die Kapelle nach der überstandenen Choleraepidemie von 1831 reaktiviert und der „aktuelleren Seuche“ gewidmet. Baulich war sie aber weiterhin nicht in bestem Zustand, da sie 1849 bereits abgestützt werden musste. Hans Kopf zitierte Aussagen alter Mannersdorfer, die die Kapelle noch kannten, so sei sie größer als die Donatikapelle gewesen und habe über einen Altar und Stühle verfügt. Die Kapelle scheint in allen alten Landkarten auf, auch Franz X. Schweickhardt stellte sie in seiner Perspektivkarte von 1837 dar. Er gab sie als barocken Rundbau mit Kuppel und Laterne wieder, umgeben von freien Wiesenflächen. Im Laufe der Zeit verfiel die Kapelle weiter und wurde, so Hans Kopf, 1883 endgültig abgetragen. Albert Schatek übte sich 1928 in einer zeichnerischen Rekonstruktion, er sah die Kapelle als Oktogon mit geschweifter Kuppel und Laterne. Die Rekonstruktion zeigt aber deutliche Schwächen, da die gezeichneten Detailformen so nie im Barock verwendet wurden.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden dann in der späteren Rosengasse nach und nach neue Wohnbauten, neben Nr. 2 und Nr. 8 kamen nun die Häuser Nr. 3, 4, 5, 6, 7 und 9 hinzu – wesentlich jünger sind die Häuser 1 und 2a. Bis 1965 war auch der Grund zwischen der Hoferstraße und der Rosengasse weitgehend verbaut. Nur eine Gartenparzelle war noch unangetastet geblieben, sie diente als Durchgang zur Hoferstraße, da die Rosengasse bei Schlechtwetter einen unbefestigten und schlammigen Weg bildete. Erst 1969 wurde die Gasse an die Kanalisation angeschlossen und 1972/73 asphaltiert. Um die Jahre 1970/71 sollte die Gasse, die bis dahin immer noch zur Hoferstraße zählte, einen eigenen Namen erhalten. Wie Heribert Schutzbier berichtet, kamen aus der Bevölkerung etliche Vorschläge zur Namengebung. Einer sah vor, sie „Kapellengasse“ zu nennen, begründet wurde das mit dem Standort der ehemaligen Pestkapelle. Es kam aber ganz anders, wie Heribert Schutzbier eine mündliche Überlieferung festgehalten hat: Früher waren noch große Teile der Rosengasse unverbaut, daher gab es dort viel Natur mit Gras, Schafgarben, Wegwarten, Brennnesseln, Disteln und Kletten. Von Zeit zu Zeit mussten die Gemeindearbeiter ausrücken, um das wuchernde Grün händisch mit Sensen zu mähen. Das war natürlich keine angenehme Beschäftigung, weil besonders Disteln und Kletten schwer zu mähen waren. Einer der Gemeindearbeiter, ein älterer Herr, der für seine originellen Sprüche bekannt war, meinte dann immer: „Na gehn ma hoid wieda Rosn mahn“. Dieser Spruch machte im Ort bald die Runde und viele Leute sprachen von der „Rosengasse“. Der Name wurde von der Gemeindeverwaltung aufgegriffen und so erhielt die Gasse letztlich ihren Namen, berichtet Heribert Schutzbier. Nach einer anderen Erzählung soll der Name der Rosengasse hingegen von den zahlreichen Rosenstöcken stammen, die bei den ersten Häusern gepflanzt worden waren.


Foto 1: Die Hoferstraße mit der Pest-/Sebastianikapelle, 1837 (Franz X. Schweickhardt, Perspektivkarte)

Foto 2: Die Stelle des Hofer/Oberen Tores der Marktbefestigung (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 3: Die noch unbebaute Hoferstraße im 19. Jh. (Franzisko-Josephinischen Landesaufnahme, 1872)

Foto 4: Blick zur Hoferstraße, 1. Drittel 20. Jh. (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 5: Freie Rekonstruktionszeichnung der Sebastianikapelle durch Albert Schatek, 1928 (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)