Online-Gschichtl Nr. 177

Das Kriegsende und die Nachkriegszeit in der Region Mannersdorf im Spiegel von Zeitzeugenberichten – Teil 4

Im vierten Teil zu den Zeitzeugenberichten fällt der Blick nun auf Götzendorf und Pischelsdorf.

 

Frau W. aus Götzendorf schilderte 1985 mit Hilfe ihres Tagebuchs ihre Eindrücke vom Kriegsende: „Am 7. April 1945 kam der erste russische Soldat in unseren Keller. Unser Haus [das ehemalige Fabriksgebäude] war beschädigt. 36 Fenster waren kaputt und im Garten fanden wir zwölf Schützenlöcher. Die Russen quartierten sich vom 22. April 1945 bis 1950 bei uns im Haus ein. Ich war damals 22 Jahre alt und hatte große Angst, aber die Soldaten waren nett und gaben uns auch zu essen. Am 4. Mai 1945 bekam ich von einem sowjetischen Major den ersten Lohn für das Waschen seiner Wäsche. Am 5. Mai fuhr wieder der erste Zug nach Wien. Am 6. Mai sagte uns ein russischer Soldat, dass der Krieg bald aus sei. Am 8. Mai war es so weit. Am 9. Mai, einem Mittwoch, läuteten von 8 bis 9 Uhr die Kirchenglocken. Endlich war Frieden. Doch ein Russe sagte: ‚Wir bleiben in Österreich!‘“

 

Erna H. aus Götzendorf erzählte wiederum: „Ich war 1945 zweiundzwanzig Jahre alt. Mein Bruder ist im Krieg gefallen. Nachdem die deutschen Soldaten weg waren, gingen wir in den Keller. Als uns die Russen entdeckten, nahmen sie uns Uhren und Schmuck weg. In der Früh gingen wir wieder nach Hause. Es herrschte ein großes Durcheinander. Im Stall fanden wir Einschüsse. Zwei Tage später quartierte sich ein sowjetischer Major in unserem Haus ein. Bis Ende September wohnten wir deshalb auf dem Dachboden. Für den Major musste ich Wäsche waschen und aufräumen. Dafür bekamen wir von ihm Mehl und Eier. Ende September ist der Major ins 25er-Haus gezogen. Nun konnten wir wieder in unserer Wohnung schlafen und unsere Wirtschaft betreiben. Die Familie aus dem 25er-Haus wohnte bei uns. Hausschlachtungen mussten der Gemeinde gemeldet werden. Die Tiere wurden dann amtlich gewogen, denn ein Teil des Fleisches musste abgeliefert werden. Auch vom Ertrag unserer Ernte mussten wir einen gewissen Teil abliefern, den Rest durften wir behalten.“

 

Auch Frau H. aus Götzendorf wusste zu berichten: „1945 war ich 26 Jahre alt und wohnte mit meinen beiden Söhnen, von denen einer noch sehr klein war, bei Bekannten. Beim Einmarsch der Russen hatten wir uns versteckt. Als wir zu unserer Wohnung zurückkamen, waren die Tür eingetreten und Geschirr und Fenster zerschlagen. Sonst gab es keine Sachbeschädigungen. Da wir uns wegen der offenen Tür nicht zu bleiben trauten, gingen wir wieder auf die Straße und riefen um Hilfe. Der Nachbarbauer gewährte uns in seinem Kuhstall Unterschlupf. Von ihm bekam ich auch etwas Milch für meine Kinder. Am nächsten Tag gingen wir in unsere Wohnung zurück und ich reparierte die Eingangstür mit einer Kastenrückwand. An Lebensmitteln waren nur etwas Brot und Zucker da. Später musste ich mit anderen Leuten auf Befehl der Russen Erdäpfel aus einem Keller klauben. Jeder der Helfer durfte dann einen Kübel voll Erdäpfeln mitnehmen. Ein Teil davon wurde nachher gegen Bohnen eingetauscht. Eines Tages teilte mir mein Wohnungsnachbar mit, dass ich jeden Tag am Morgen und am Abend eine Kuh der geflüchteten Mühlenbesitzer [Familie Polsterer] melken dürfe. So bekam ich täglich einen Kübel Milch, von dem die Russen den Rahm abschöpften. Die erste Zeit war die Ernährungslage sehr schlecht. Mit Tauschgeschäften konnte man sich aber etwas helfen. Später arbeitete ich als Köchin in der Mühle, wofür ich auch Essen bekam. Diese Arbeit wurde mit einem Sack Mehl und rund 20 Kilogramm Gries entlohnt. Im Anschluss daran arbeiteten anderen Frauen und ich in der Mühle als Aufräumfrauen. Dafür wurden wir mit Geld bezahlt. Danach waren wir in der Weberei beschäftigt. Dort bekamen wir statt Geld 40 Meter Textilware. Diese tauschten wir gegen Wein ein, der damals sehr wertvoll war. Den Wein gaben wir wiederum gegen Fett, Süßigkeiten, Kleiderstoffe oder Geld an die Russen weiter. Im Allgemeinen waren die Russen sehr nett. Nur einmal hatte ich mit ihnen auf der Kommandantur, die im Haus des Malermeisters untergebracht war, zu tun. Das kam so: Mein Sohn Franz lieh einem russischen Buben seinen Tretroller. Als ihn dieser nicht zurückbrachte, suchte Franz den Roller, bis er ihn wieder fand und nahm ihn einfach mit. Ein Russe rannte hinter ihm her und schimpfte ihn auf Russisch. Als ich russisch zurück schimpfte, wurde ich zur Kommandantur gebracht. Die Sache klärte sich aber bald auf, und ich konnte wieder nach Hause gehen.“

 

Herr S. aus Götzendorf kam 1985 ebenso zu Wort: „Ich war bei Kriegsende 25 Jahre alt. Bruder und Schwager waren in Russland gefallen. Der hintere Teil unseres Hauses mit dem Keller war durch Bomben zerstört, nur der vordere Teil und die Stallungen blieben heil. Nach der Besetzung Österreichs wurde ein russischer Hauptmann samt Familie bei uns im Haus untergebracht. Da ich Bauer bin, konnte ich meine Familie in der schweren Zeit selbst mit Fleisch und anderen Produkten versorgen. Ich tauschte auch Milch gegen andere Lebensmittel. Bald musste ich Milch an russische Arbeitskräfte abliefern. Es wurden mir auch einige Kühe und Pferde beschlagnahmt. Sonst erlitt ich keine Schäden. Der Wiederaufbau des zerbombten Teiles meines Hauses erfolgte durch Tauschhandel. Für mehrere Schweine bekam ich das notwendige Baumaterial. Die Maurer bezahlte ich mit einigen Flaschen Wein. 1955 beobachteten meine Familie und ich im Fernsehen die Unterzeichnung des Staatsvertrages. Wir freuten uns, dass der lang ersehnte Wunsch endlich wahr wurde.“

 

Über das Kriegsende und die Nachkriegszeit in Pischelsdorf konnte 1985 Frau H. Auskunft geben: „Als ich die letzten Kriegstage erlebte, war ich 41 Jahre alt. Unseren Bauernhof musste ich alleine führen, da mein Mann in Jugoslawien in Kriegsgefangenschaft war. Pferde, Kühe und unser Traktor wurden mir abgenommen. Weil ich den Traktor zurückhaben wollte, fuhr ich mit einem Herrenrad nach Simmering, wo er stand. Die Nummerntafeln waren aber schon übermalt und so konnte ich nichts erreichen. Wir ernährten uns von der eigenen Landwirtschaft und hatten dadurch genug zu essen. Meine Lebensmittelkarten verschenkte ich deshalb an arme Leute. Einige Male ging ich mit einem Bekannten durch die Leithaau von Pischelsdorf nach Wasenbruck und brachte den Kindern dort Milch. Um uns zu tarnen, mussten wir unsere Gesichter schwärzen. In der Au sahen wir auch noch Tote von den vorhergegangenen Kämpfen liegen. Bei der Einquartierung suchten sich die Russen nur die schönen Wohnungen aus. In unser Haus kamen Offiziere, darunter ein Major. Uns blieben nur ein Zimmer und die Küche. Deshalb kam mir außer einigen Lebensmitteln nichts abhanden. Meinen Schmuck hatte ich vorsorglich in meinen Schuhen versteckt. Für die einquartierten Offiziere musste ich Wäsche waschen und bekam dafür etwas Geld. Einmal kam der Major und meldete uns, dass unser Haus genau in der Schusslinie stehe. Die sowjetischen Truppen waren damals noch auf dem Vormarsch nach Wien und so kam es auch hier noch zum Schusswechsel. So mussten wir nach Wasenbruck fliehen. Dort erwartete uns eine Frau und sagte, dass wir in der Waschküche übernachten könnten, aber wir müssten ruhig sein, wenn jemand anklopft. Als wir wieder nach Hause kamen, stand unser Haus noch. Ich musste dann für die Russen Wild kochen. Vor dem Servieren, musste ich mich hinsetzen und ein Stück davon essen, denn sie argwöhnten, dass das Wild vergiftet sei. Später mussten wir einen Teil unseres Getreides aus der Landwirtschaft den Russen abliefern. Am 28. März 1946 bekam ich vom Roten Kreuz die erste Nachricht, dass mein Mann noch lebte. Ich durfte ihm drei große Pakete mit Nahrungsmitteln schicken. Bald wurden die Vorschriften aber strenger. Es durften nur mehr kleinere Pakete sein. Am 7. November 1947 kamen 1080 Kriegsgefangene aus Jugoslawien nach Österreich, unter ihnen befand sich auch mein Mann. Endlich konnte ich ihn am Götzendorfer Bahnhof abholen. Die Wiedersehensfreude war groß.“

 

 

Josef P. aus Pischelsdorf erzählte seinerseits: „Von meinen Familienangehörigen ist während des Krieges niemand gefallen. Im April 1945 kamen die Russen nach Pischelsdorf. Damals war ich schon verheiratet und hatte eine kleine Tochter. Als wir in die Keller flüchteten, ließen wir unsere Wohnung unverschlossen. In unserem Haus quartierten sich Russen ein, dagegen konnte man sich nicht wehren. Wir verstanden uns mit den russischen Soldaten aber recht gut. Sie schossen Feldhasen, zogen ihnen gleich das Fell ab und brachen sie auf. Die Innereien ließen sie liegen. Die holte ich mir. Damit konnte ich unsere Verpflegung etwas aufbessern. Meine Frau musste bei den Russen zusammenräumen, waschen, bügeln und kochen. Dafür wurde sie gering entlohnt. Die Kommandantur der Besatzungsmacht war in Götzendorf. Damit hatte ich aber nie etwas zu tun. Dass die Russen vielen Bauern Schweine und Kühe wegnahmen, war fast selbstverständlich. Mit unserem Besitz war aber alles in Ordnung. Als wir 1955 hörten, dass der Staatsvertrag unterzeichnet worden war, jubelte die ganze Familie.“

 

Fortsetzung folgt …

 

Foto 1: Blick von Mannersdorf nach Götzendorf und Pischelsdorf (Archiv Edmund-Adler-Galerie)