Online-Gschichtl Nr. 185

Die Wasenbrucker Filztuchfabrik von Hutter und Schrantz - Teil 1

Hans Amsis besonderes Anliegen war es, sich mit der Geschichte der Wasenbrucker Filztuchfabrik zu beschäftigen. In langer Recherchearbeit und mit Unterstützung zahlreicher Zeitzeugen und alteingesessener Wasenbrucker:innen konnte er so ein mehrteiliges Online-Gschichtl zusammenstellen. Im ersten Teil spricht Hans Amsis zum Einstieg über seine frühesten, persönlichen Eindrücke vom Fabriksalltag in der Nachkriegszeit.

 

Wo fängt man bei einer Werksgeschichte an zu erzählen? Ich mache es mit meinen eigenen Erinnerungen als Fabriksarbeiterkind der Nachkriegsjahre. Meine Generation, also die „Woibehmen“, die mit mir aufgewachsen sind, haben wohl die beste Zeit der Wasenbrucker Filztuchfabrik miterleben dürfen. Der Krieg war vorbei und die Wirtschaftswunderjahre kamen voll in Schwung. Die Papierfabriken brauchten Filze für die Produktion, noch und nöcher, sodass in drei Schichten gearbeitet werden musste. Als kleines Kind bekam man das ja nur am Rande mit, die Eltern haben abwechselnd Schichtdienst gehabt, von 5:00 bis 14:00 Uhr und von 13:00 bis 22:00 Uhr. Bei der Überschneidung der Schichten am frühen Nachmittag hat unsere Oma auf mich und meine Cousinen aufgepasst. Wenn es also zehn Minuten vor 13:00 Uhr „buad hod“, also die Werkssirene heulte, wurde in die Arbeit gegangen. Worauf sich eine lange Schlange an Leuten bildete, die auf Einlass in das Werk warteten. „Um zwa“ ist dann der andere Elternteil nachhause gekommen. Spuren aus der Fabrik gab es überall in Wasenbruck, man kam an deren Produkten gar nicht vorbei. „Ah Stickl an Füz (Filz) und ah Schnial (Schnur) aus da Fabrik“ hatte jeder, ob bei den Vereinen, im Kinderheim, in der Schule oder zuhause. Wenn was zu reparieren war, wurde es mit „an Schnial“ zusammengebunden. Das Produkt, das eigentlich erzeugt wurde, war ja der Filz für die Papierfabriken, aber dafür brauchte man Baumwolle und aus der wurden auch „Schnial“ bzw. Garne erzeugt. Auch zu Hause konnte man diese gut gebrauchen, etwa zum Stricken von Wollsocken und Fäustlingen für den Winter. Die dünnen weißen „Schnial“ nahmen wir für das Aufhängen des Christbaumbehanges, dickere wurden als Wäschestricke, Schnürriemen, zum Anbinden der Paradeispflanzen im Garten, zum Umwickeln bei der Baumveredelung oder zum Zusammenbinden der „Hoizbialn“ in der Au verwendet. Beim Indianerspielen konnte man mit den „Schnialn“ Feinde an einen Baum anbinden oder ein Zelt aufbauen. Die „Schnialn“ waren kurzum das Universalwerkzeug in jedem Wasenbrucker Haushalt. Die Baumwolle selbst wurde ebenso gerne außerhalb des Werkes verwendet, zum Ausstopfen der Polster, Matratzen, Teddybären und Puppen oder als Perückenmaterial für den Fasching.

Was damals alles aus Filz gemacht wurde, war schon gigantisch. Das beeindruckteste Stück Filz, das wir Kinder kannten, war weinrot gefärbt und wurde als Theatervorhang im Kinosaal verwendet. Viele aufgeregte Kinderaugen haben da seitlich, kurz vor der Theateraufführung, auf das Publikum hindurch geblinzelt, bevor der Vorhang „duach ah Schnial aus da Fabrik“ aufgezogen wurde. Beliebt waren alle Arten von Filzdecken, die weißen weichen Filze wurden geschickt zu Sonntagsmänteln oder Jacken geschneidert, manche Mutter schneiderte aus dem leicht bräunlichen Filz Gilets für die Kinder. Und wir sind die ganze Zeit mit „Füzbodschn“ und „Füzschlapfn“ unterwegs gewesen. Selbst Schuhsolen, Schuheinlagen, Teppiche, Matratzenschoner, Tagesdecken und Liegedecken stellten die Wasenbrucker aus den Filzen für den Eigenbedarf her. Manche behaupteten sogar, die Filzläuse seien in der Fabrik erzeugt worden. Dafür fanden sich bis heute keine Beweise, dass die Läuse dort aber vielfach zu bekommen waren, kann als sicher eingestuft werden.

Als ich dann schon etwas größer war, durfte ich meine Eltern manchmal nach Arbeitsschluss beim Portier abholen. „Owa geh jo ned so weit zu da Foin zuwe, waunst einifoist dasaufst“, wurde ich aber gewarnt. „De Foin“ („Falle“) war die Schleuße zum Feuerbach, mit der das Wasser für die Turbine zur Stromerzeugung hinter dem Rechen eingestellt wurde. Diese „Foin“ verlangte einem schon Respekt ab, durch das Getöse des abgeleiteten Wassers konnte einem Kind schon angst und bange werden. Wenn man Richtung Portier sah, stand auf dessen Loge ganz vornehm „Pförtner“, aber umgangssprachlich war der „Pförtner“ halt unser Portier. Linker Hand befand sich noch die Feuerwehrschupfen und direkt angebaut war die Wärmestube. Beim Portier befand sich auch die Stechuhr für die Werksangehörigen. Die Portiere zeigten beim Einstempeln besondere amtliche Strenge, so durfte man nicht zu früh stempeln. Im Winter, als es sehr kalt war und die Leute mit Fahrrädern oder Mopeds kamen, konnten sie sich in der erwähnten Wärmestube bis zum pünktlich reglementierten Einlass aufhalten. Es hatte sich mit den Jahren eingebürgert, dass die Arbeiter schon früher kamen, um dort in geselliger Runde zu rauchen oder Tee zu schlürfen. Wenn dann Einlass war, standen die Leute bei der Stempeluhr Schlange. Beim Portier am Tisch stand auch ein für heutige Verhältnisse riesiges Telefon, das bei uns Kindern besonders Eindruck machte. In Erinnerung sind auch die Portiere selbst geblieben, da gab es zunächst Herrn Durnthaler. Er war der strengste, mit dem schärfsten Ton in der Stimme. Herr Teibl aus Reisenberg ist Helga Thiel und mir wiederum sehr wohlwollend in Erinnerung. Dann gab es auch noch die Herren Radlsböck und Kustrich. Als besondere Persönlichkeit darf aber Max Pohl gelten, der seine Portiersstelle offenbar als Kriegsinvalider erhalten hat. Er war auch nach seiner Portiertätigkeit und der Werksschließung in Wasenbruck sehr präsent. Bei Festen und Bällen konnte man ihn nicht nur sehen, sondern auch riechen, wenn er genussvoll seine Virgina rauchte. Beim Heurigen Krenn packte er manchmal sein Akkordeon aus, um einige Stimmungslieder zu spielen. So runden sich meine persönlichen Erinnerungen und frühesten Eindrücke von unserer Fabrik ab.

 

 

Fortsetzung folgt …

Foto 1: Die Filztuchfabrik und ihre Arbeitersiedlung (Archiv Stadtgemeinde Mannersdorf)

Foto 2: Die Arbeiter, wie hier 1921 in den Werkstätten der Fabrik, prägten Wasenbruck (Sammlung Theobald Grohotolski)

Foto 3: Die Wasenbrucker Arbeiterinnen, wie hier 1921 in der Zwirnerei, wirkten in gleicher Weise am Erfolg des Standortes mit (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 4: Der Werkseingang mit dem "Pförtner", der erste Anblick der Filztuchfabrik (Wasenbrucker Heimatseite)

Foto 5: Beim Pförtner durften die größeren Kinder manchmal auf das Schichtende der Eltern warten (Wasenbrucker Heimatseite)

Foto 6: Mehrere Generationen waren in den gut 90 Jahren seines Bestehens im Werk beschäftigt (Archiv Elfi Fischer)