Online-Gschichtl Nr. 193

Die Wasenbrucker Naturfreunde - Von der Arbeitersiedlung in die weite Welt

Im heutigen Online-Gschichtl berichtet Johann Amsis würde die Ortsgruppe der Wasenbrucker Naturfreunde und ihre abenteuerlichen Ausflüge von der Arbeitersiedlung in die weite Welt.

 

Freunde der Natur und der Berge hat es ja in Wasenbruck vermutlich schon immer gegeben. Erzählungen von meiner Tante Lisi, die Jahrgang 1913 war, lassen darauf schließen, dass es die Wasenbrucker schon früh in die Berge zog. Die Mannersdorfer Wüste, die Kaisereiche und die Gemeindewiese waren des Öfteren lokale Ausflugsziele. Als Krönung galten aber die Wandergebiete der Hohen Wand, des Schneeberges mit der Zahnradbahn („hadschader Karl“) und der Rax. Ausflüge in die Ferne waren für die damaligen „Woibehm“ rare Erlebnisse, die noch viele Jahre danach für Erzählungen herhalten mussten. Einige wenige Wanderer zog es auch in die „weite Welt“, nach Südtirol zum Schifahren oder zum Bergwandern. Johann Hochwartner und Elfriede Dlask wussten zu erzählen, dass sie mit den Mannersdorfer Naturfreunden viele Schitouren unternommen haben. Frau Dlask erzählte mir, dass sie als junges Mädchen alleine bis nach Italien, Frankreich oder auch nach Monte Carlo gereist war. Die Reise in die große weite Welt war aber nur für wenige leistbar, das Fernweh hatten hingegen alle verinnerlicht.

In Mannersdorf wurden Anfang der 1920er-Jahre drei Buben geboren, die schon bald in ihrem jungen Leben die Liebe zur Natur fanden und die rasch das Fernweh packte: Hermann Fürstner (späterer Inhaber der Drogerie zum Rübezahl), Josef Richter (Hintausstrasse) und Johann Amsis (mein Vater). In ihren Kindertagen verbrachten die Freunde viel Zeit im Mannersdorfer Wald, um diesen zu erkunden. Eine Geschichte die mein Vater dazu öfters erzählt hat, ist jene von den kleineren Reibereien, die es immer wieder zwischen den Kindern des Oberortes und des Unterortes gegeben hat. Die drei Buben wuchsen zu Jugendlichen heran und so traf man sich zu größeren Wanderungen nach Donnerskirchen oder nach Purbach. Als sie um die 16 Jahre alt waren, wollten sie endlich in die Ferne, aber wie sollte das mit den bescheidenen finanziellen Mitteln gehen? Zumindest „an oiden Godan“ (ein altes Waffenrad) hatte jeder von den dreien zu Hause. Und so wurde beschlossen, bei Gelegenheit mit den Rädern in die Berge zu fahren. Nur hatten diese Räder keine Gangschaltung, keine Federung und nur einen Ledersattel. Auch der Autoverkehr spielte in der Zwischenkriegszeit noch keine große Rolle, so wurde aufgesessen, ein Rucksack mit dem Nötigsten umgehängt und in die Pedale getreten. Mit den Rädern ging es auf kaum befestigten Straßen nach Puchberg am Schneeberg, in das Raxgebiet, nach Eisenerz und sogar ins weit entfernte Gesäuse. Manchmal wurde auf einem billigen Matratzenlager übernachtet. Die meisten Gasthäuser hatten keine Zimmer, aber einen großen Dachboden, wo einfache Matratzen aufgelegt waren. Dort konnte man um wenig Geld und mit vielen anderen auf engem Raum übernachten. Es gab bei den Touren auch manch gefährliche Wegstrecke zu überwinden. Einmal waren sie mit den Rädern am Präbichl in der Steiermark mit viel Geschnaufe am Pass angekommen. Auf der anderen Passseite ging die steilabfallende Schotterstraße nach Eisenerz hinunter. Die Freunde machten sich Sorgen, ob man mit den Rädern, wenn einmal losgefahren ist, nochmals zum Stillstand kommen könne. Da man den Bremsen nicht vertraute, wurden im angrenzenden Wald Staudenbuschen abgeschnitten und am „Packltrocha“ (Paketträger) mit einer Schnur angebunden. Diese Stauden bremsten die Räder in dem Schotter so weit ab, dass sie wohlbehalten in Eisenerz ankamen. Viele solche Ausflüge unternahmen die drei Freunde, wenn es ihre karge Freizeit zuließ. Anfang der 1940er-Jahre wurden sie dann zum Kriegsdienst eingezogen, da blieb keine Zeit mehr für ihre gemeinsamen Ausflüge.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges lernte mein Vater meine Mutter kennen, er bekam Arbeit bei Hutter und Schrantz und wurde nach seinem Umzug nach Wasenbruck endlich ein echter „Woibehm“. Auch in Wasenbruck ließ ihn das Fernweh nach den Bergen nicht los, so kam es, dass er der Obmann der Naturfreunde in Wasenbruck wurde. Ob er schon in der Ortsgruppe Mannersdorf aktiv im Vorstand tätig war, konnte ich nicht mehr in Erfahrung bringen. Sein Ansinnen war es jedenfalls, allen Leuten, ob jung oder alt, ob sportlich oder nicht, Ausflüge und Wanderungen zu ermöglichen. Der Spruch „an Berg vo herunt, a Wirtshaus vo drin und a Kirchn vo drausst“ kam nicht immer zu tragen, denn es wurden auch herausfordernde Wanderungen unternommen, die aber doch von allen geschafft werden konnten. Aus Vaters Fotoalbum geht hervor, dass die Ortsgruppe Wasenbruck sehr aktiv war. Noch 1948 waren die Wasenbrucker Naturfreunde am Semmering, 1949 auf der Hohe Wand und 1950 nahmen sie an der Eröffnung der Vöslauer Hütte teil. Im Jahr 1951 waren viele Reisen angesagt, etwa nach Lackenhof am Ötscher mit Übernachtungen auf einem Matratzenlager. Es ging aber auch auf die Schneealm, auf die Rax und nach Krieglach. 1952 waren die Naturfreunde dann im Höllental unterwegs.

Nach dem Krieg war man froh, solche vergnüglichen und unbeschwerten Ausflüge in die Berge unternehmen zu können. Da noch wenige Autobusse verfügbar waren, nahm man auch mit kleinen Lastwagen als Transportmittel vorlieb, auf deren Ladefläche Bänke montiert wurden. Die Firma Johann Mayer aus Hof war dabei wohl am häufigsten mit unseren „Woibehm“ unterwegs. Das Fahrzeugmaterial der Nachkriegszeit hatte aber seine Tücken und hieß es dann und wann: „da Mayer kummt imma z’spät zua Obfoaht, weu dea muaß de Kraxn vuahea imma noh reparian“. Auch mit dem damaligen Kraftwagendienst (KWD) der Österreichischen Bundesbahnen sind Ausflüge unternommen worden, da mein Vater Kurt Feyer aus Mannersdorf kannte, der beim KWD in Himberg stationiert war. Die Omnibusse konnten schon damals für Privatfahrten angemietet werden. So war der „Feia Kuatl“ sehr oft mit den „Woibehm“ unterwegs. Wenn es wie so oft Richtung Rax und Schneeberg ging, war die erste Rast auf der Fahrt beim Schwarzwirt an der Neunkirchner Allee. Da wurde ausgiebig gefrühstückt und der Durst kam auch nicht zu kurz. Gut gestimmt wurde dann auf der weiteren Fahrt ein Lied nach dem anderen angestimmt und alle sangen lauthals mit. Und je besser der Durst gestillt wurde, um so heiterer wurden die Gesangsdarbietungen. Aber es war nicht immer lustig, bei einer Wanderung kam es zu einem Unfall. Frau Schlögl, die Urgroßmutter von Gerald Schlögl kam zu Sturz und hat sich dabei das Bein gebrochen. Das war damals noch ein großes Problem, da es noch keine Handys zum Hilferuf gab und keine Berghütte in der Nähe lag. So haben sich die Männer abgewechselt und die arme Frau ins Tal hinab getragen, zum Glück war sie ja ein „zartes Frauerl“.

Sehr beliebt waren auch die „Fahrten ins Blaue“, bei denen niemand außer dem Buschauffeur und dem Organisator wusste, wo die Reise hin ging. Während der Fahrt durfte geraten werden, wo das Reiseziel lag. Für den Sieger gab es einen kleinen Gewinn, etwa eine Schachtel Zigaretten, eine Bouteille Wein oder eine Stange Wurst. Damit es für alle lustig wurde, hat man diese Gewinne natürlich präpariert. Die Wurst wurde mit Sägespänen befüllt, die Zigaretten bekamen eine „Sprengladung“ und der Wein wurde mit Essig vermischt. Auch die damaligen Seidenzuckerl wurden mit Pfeffer präpariert. Mancher ließ sich den Schabernack aber nicht anmerken, ein Gewinner des Essigweines trank diesen ohne mit der Wimper zu zucken aus, während sich die schadenfrohe Reisegesellschaft eine andere Reaktion erhofft hätte. Eine Abwandlung der „Fahrten ins Blaue“ war die Bildersuchfahrt. Dabei wurden im Vorhinein Bilder von markanten Punkten auf dem Weg zum Reiseziel gemacht. Die Fotos von Marterln, Bushaltestellen und Gebäuden wurden vor der Abfahrt im Bus verteilt. Und alle Reisegäste hielten während der Fahrt Ausschau, um die Bilder zu enträtseln. Der Sieger erhielt natürlich auch einen entsprechend tollen Gewinn.

Bei den Reisen wurden natürlich einige Schnappschüsse zu Erinnerungszwecken gemacht. Da die Fotofilme noch teuer waren, ging man mit ihnen aber sehr sparsam um. Die Firma Hutter und Schrantz hatte im Trafikgebäude einen Raum als Dunkelkammer eingerichtet und zur Verfügung gestellt, der von allen „Fotografen“ zur Entwicklung genutzt werden konnte. Neben Fotoabzügen kamen dann auch die Dias dazu. Nach den schönen Reisen wurde so zur Erinnerung der eine oder andere Dia-Vortrag gehalten.

 

Als mein Vater seine Obmannfunktion Ende der 1960er-Jahre zurückgelegt hatte, übernahm zunächst Alois Dietschy und später Johann Hochwartner die Leitung der Wasenbrucker Naturfreunde. Wann sich der Verein endgültig aufgelöst hat, ist an mir vorübergegangen, aber Busausflüge gibt es noch heute. Nach den Naturfreunden übernahmen der Pensionistenverband, die Wanderer und die Hobbysportler die Organisation von Gruppenreisen.

Foto 1: Die Freunde Hermann Fürstner, Josef Richter und Johann Amsis mit ihren Rädern auf großer Tour

(Archiv Johann Amsis)

Foto 2: Erste Bustouren in der Nachkriegszeit (Archiv Johann Amsis)

Foto 3: Gemütliche Rast auf der Schneealm 1951 (Archiv Johann Amsis)

Foto 4: Eroberung der Rax 1951 (Archiv Johann Amsis)

Foto 5: Wanderung am Ötscher bei Lackenhof 1951 (Archiv Johann Amsis)

Foto 6: Mit dem Bus ging es direkt in die Berge (Archiv Johann Amsis)

Foto 7: Wasenbrucker Reisegesellschaft (Archiv Johann Amsis)

Foto 8: Auch Kinderausflüge wurden veranstaltet (Archiv Johann Amsis)