Online-Gschichtl Nr. 196

Ein urgeschichtlicher Fund im Mannersdorfer Bad und seine Geheimnisse

Nach den Feiertagen nimmt uns Heribert Schutzbier wieder mit in die Vergangenheit unserer Stadt und berichtet über einen besonderen urgeschichtlichen Fund, der vor nunmehr 37 Jahren beim damaligen Neubau des Mannersdorfer Thermalbades ans Tageslicht kam.

 

Das Wasser der Mannersdorfer Thermalquelle, die den Warmen- oder Mühlbach speist, wurde mindestens schon seit dem Mittelalter in einer öffentlichen Badestube genutzt, wie es sie damals auch in anderen Städten und Ortschaften gegeben hatte. Hofmedikus Dr. Johann Enzianer erkannte ihre Heilkraft und erhielt 1517 von Kaiser Maximilian I. die Erlaubnis, die „Wildbad“ genannte Quelle als Heilbad auszubauen. Urgeschichtliche Siedlungsspuren und Funde aus den Straßenzügen der unmittelbaren Umgebung beweisen aber, dass die Quelle wohl bereits viel früher bekannt war und wegen ihrer Eigenschaften vielleicht sogar verwendet wurde.

Als 1986 mit der völligen Erneuerung des Mannersdorfer Bades begonnen wurde, war zu erwarten, dass die anfallenden Erdarbeiten neue archäologische Erkenntnisse bringen könnten. Tatsächlich zeigten sich nach den Kelleraushubarbeiten für den neuen Kabinentrakt am 31. Oktober 1986 an den Baugrubenwänden (Bereich der südlichen Außenmauer des Kabinengebäudes) fünf sackartige dunkle Verfärbungen. Sie waren beim Ausbaggern angeschnitten worden und hoben sich deutlich vom umgebenden sandigen Material ab. Vier dieser Gruben (bezeichnet Nr. 2 bis 5) waren auf Grund einiger Tonscherben, die sie enthielten, erst in der Frühen Neuzeit (ca. 16./17. Jahrhundert) entstanden.

Weitaus interessanter aber erwies sich die Grube Nr. 1. Sie reichte bis in eine Tiefe von 1,85 m unter die bestehende Oberfläche und konnte in die Urnenfelderzeit (ca. 1200-800 v. Chr.) datiert werden. Die Grubenfüllung zeigte einen schichtweisen Aufbau und bot das typische Bild einer Abfallgrube. Sie enthielt Asche, Holzkohlenreste, Hüttenlehm, angebrannte Steine, kleinere Schneckenhäuschen, Knochen und Tonscherben, deren innen gekantete Mundsaumteile typisch für die Urnenfelderkultur sind. Ein Teil des Knochenmaterials stammte von Schaf oder Ziege.

Die größte Überraschung aber boten Menschenknochen in Grube Nr. 1, die lose verstreut im untersten Teil der Grube lagen. Es handelte sich um Schädel und Unterkiefer, jedoch weit voneinander getrennt, einige Wirbel, kreuz und quer liegende Rippen, Arm- und Fingerknochen, Kreuzbein und Teile des Beckens. Die linke Schädelseite und das linke Unterkiefergelenk wiesen grüne Oxydationsflecken auf, was auf einen Bronzegegenstand (Ohrring?) hindeutet. Obwohl im Bereich der verstreuten Skelettteile auch ein kleines Bronzeröllchen gefunden wurde, kann es auf Grund seiner Lage nicht unmittelbar zu den grünlichen Verfärbungen geführt haben, aber zusammen mit den Knochen in die Abfallgrube gelangt sein.

In einer Abfallgrube sind Menschenknochen an sich schon überraschend. Dazu kommt aber noch, dass menschliche Skelettfunde aus der Urnenfelderzeit überhaupt selten sind. Verstorbene wurden damals üblicher Weise auf einem Scheiterhaufen eingeäschert und die Überreste in Urnen (daher der Name Urnenfelderzeit) beigesetzt.

Woher stammen also die Skelettteile und wie kamen sie in diese Abfallgrube? Bestattet wurden sie hier bestimmt nicht. Dagegen spricht ihre wirre Lagerung, die beweist, dass der menschliche Körper bereits völlig verwest gewesen sein muss, ehe die Knochen in die Grube gelangten.

Vermutlich wurde während der Urnenfelderzeit bei Erdarbeiten ein älteres Grab zerstört, mit dessen menschlichen Überresten man nichts anzufangen wusste und deshalb einfach als „Abfall“ entsorgte. Bestätigt wird diese Annahme auch durch den Hinweis des Anthropologen Univ.Prof. DDr. Eike-Meinrad Winkler, dass sich bei dem Knochenmaterial Teile zweier Menschen (Mann und Frau) befanden. Das Lebensalter des Mannes, von dem mehr Knochen vorhanden waren, kann auf etwa 30 bis 40 Jahre geschätzt werden.

Obermedizinalrat Dr. Karl Gottschy stellte an einem Lendenwirbel Verwachsungen fest, was auf eine starke Abnützung schließen lässt, die durch schwere körperliche Arbeit hervorgerufen, zu Lebzeiten sicher entsprechende Schmerzen verursacht hatte. Eine auffällige Verdickung des Schädeldaches könnte auf Mangelerscheinungen hindeuten, entstanden durch längere Hungerperioden.

Besonders interessant waren auch die Zähne. Sie zeigten einerseits die für die Urgeschichte typischen starken Abnützungen, was der damaligen groben Kost zuzuschreiben ist, wiesen aber, und das ist für diese Epochen eher ungewöhnlich, starke Karies auf. Zahnarzt Dr. Kurt Scheucher, dem ich die Kieferteile damals zeigte, stellte fest, dass besonders ein Zahn des Oberkiefers zu Lebzeiten sehr starke Schmerzen verursacht haben musste. Der größte Teil des Zahnes war bereits durch Karies zerstört. Eine Wurzel war nach außen durchgeeitert, die andere in die Kieferhöhle durchgebrochen und hatte dort vermutlich eine Kieferhöhleneiterung verursacht. Unter Umständen könnte dieser Zahn eine Blutvergiftung hervorgerufen haben und dadurch sogar die Todesursache gewesen sein.

 

So berichtet eine zuerst unscheinbar wirkende Abfallgrube im Mannersdorfer Thermalbad nicht nur von einer urgeschichtlichen „Exhumierung“ bzw. dem nachmaligen Umgang mit Knochen, sondern sichtlich auch von einem Menschenschicksal voll schwerer körperlicher Arbeit, Hunger und Schmerzen.

Foto 1: Der Kabinentrakt von 1986/87 als damalige Fundstelle (Karl Trenker, 2003)

Foto 2: Der alte Kabinentrakt des Mannersdorfer Bades (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 3: Der Lageplan der aufgefundenen Abfallgruben im Baustellenbereich des neuen Kabinentraktes von 1986/87 (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf, Planzeichnung von Arch. Dipl.Ing. Karl J. Opferkuch)