Online-Gschichtl Nr. 203

Das Kriegsgefangenenlager Kaisersteinbruch STALAG XVIIA – Teil 1

Während der russische Angriffskrieg in der Ukraine bereits ins zweite Jahr geht, erinnert Ava Pelnöcker in ihrem zweiteiligen Beitrag daran, wie während des Zweiten Weltkrieges Ukrainer und Russen Seite und Seite im Kaisersteinbrucher Kriegsgefangenenlager litten.

 

Im gesamten Dritten Reich waren zwischen 1939 und 1945 rund 200 Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Die Lager für die niedrigen Dienstgrade trugen die Bezeichnung Stammlager, kurz „STALAG“, im Gegensatz zu den Offizierslagern, den sog. „OFLAGs“. Die Nummerierung der STALAGs bezog sich wiederum auf den jeweiligen „Wehrkreis“ - 17 für Wien.

Das STALAG XVIIA in Kaisersteinbruch nahm als eines der ersten Mannschaftslager seinen „Betrieb“ Ende August 1939 auf, da das „Oberkommando der Wehrmacht“ hier auf eine bereits bestehende Infrastruktur zurückgreifen konnte. Im Ersten Weltkrieg auf ungarischem Territorium von russischen Kriegsgefangenen erbaut, scharten sich einen Steinwurf von der Straße nach Wilfleinsdorf entfernt, zunächst sechzehn Unterkunftsbaracken um ein großzügiges Offizierskasino. Weiter nördlich, entlang der noch heute bestehenden Kastanienallee, wurden weitere 26 Baracken errichtet, die auf eine Maximalbelegung von 1650 Soldaten und 110 Offiziere ausgelegt waren. Hinzu kamen Unterkünfte für 200 Wachsoldaten, Kranken- und Küchenbaracken sowie die erforderlichen Pferdestallungen.

Auch nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde das Lager weiterhin militärisch genutzt. Während des Austrofaschismus internierte das Dollfuß-Regime in Kaisersteinbruch missliebige Sozialisten, Kommunisten und illegale Nationalsozialisten, wie den berüchtigten Ernst Kaltenbrunner, später Chef des NS-Sicherheitsdienstes.

Noch vor dem sog. „Anschluss“ Österreichs im März 1938 lagen in Berlin bereits Pläne zur großflächigen Erweiterung des nahegelegenen Truppenübungsplatzes Bruckneudorf vor. Während Mannersdorf durch die als kriegswichtig eingestufte Zementproduktion verschont blieb, erhielt die Bevölkerung von Sommerein und Kaisersteinbruch im Oktober 1938 den Befehl ihre Häuser innerhalb des kommenden Jahres zu räumen. Mit der Abwicklung der Liegenschaftsankäufe war die „Deutsche Ansiedlungs-Gesellschaft – DAG“ betraut, die den Eigentümern durchwegs reelle Preise für ihre Liegenschaften bot. So konnten in Sommerein schon bald die ersten Rekruten in den leerstehenden Gebäuden im „Graben“ den Häuserkampf üben. Während die Veräußerung so mancher Grundstücke jedoch nur schleppend vorankam und sich die Absiedlung mangels Ersatzobjekten bis Kriegsende hinzog, war Kaisersteinbruchs Einwohnerschaft 1939 bereits zur Gänze „evakuiert“.

Währenddessen ließ die NS-Heeresverwaltung im Lager zwei große Mannschaftsküchen und weitere dreißig Mannschaftsbaracken aus Holz errichten, die mit je 200 Mann belegt werden konnten. Dennoch war das Platzangebot für die in den kommenden Jahren zu erwartenden Kriegsgefangenen völlig unzureichend, so dass man bei ihrer Unterbringung auch auf „evakuierte“ Gebäude im Ort Kaisersteinbruch zurückgreifen musste.

Das Lager selbst war mit einem doppelten Stacheldrahtzaun umgeben, der von mehreren Wachtürmen mit Suchscheinwerfern und Maschinengewehren gesichert wurde. Zur Bewachung der Kriegsgefangenen waren nicht mehr fronttaugliche Reservisten älterer Jahrgänge vorgesehen, die in sog. „Landesschützen-Bataillons“ zusammengefasst den jeweiligen Kommandanten von Lager 1 und Lager 2 unterstanden. Auf erhalten gebliebenen Feldpostkarten lässt sich an den Stempeln ablesen, dass 1940 die 2. und 4. Kompanie des LS-Baion. 875, die 3. Kompanie des LS-Baion. 877 und eine Kompanie des LS-Baion. 892 in STALAG XVIIA stationiert waren. 1941 trat die 3. Kompanie des LS-Baion. 879 ihren Dienst an. Die Außenwache bestand aus einem Unteroffizier und 65 Schützen, die Innenwache aus vier Unteroffizieren und 48 Mann. Hinzu kam die Besatzung der Fliegerabwehrstellung, die auf einem Hügel über dem Lager positioniert war. Von diesem Aussichtspunkt, der sog. „Gloriette“, ließ sich die Umgebung bestens überblicken.

Um der Fraternisierung vorzubeugen, wurden die Landesschützen nach einem Jahr aus dem Lager abgezogen und einzelnen Arbeitskommandos zur Bewachung zugeteilt. Gelegentlich eskortierten die Wachen auch Geflüchtete zurück in ihre Lager – oft über hunderte Bahn-Kilometer! – oder überstellten erkrankte Gefangene zur Behandlung in Wiener Spitäler. Allgemein bemängelte das „Oberkommando der Wehrmacht“ „die erstaunliche Lässigkeit und Gleichgültigkeit der Wachmannschaften“ im Umgang mit den Lagerinsassen, was wohl nicht nur dem „österreichischen Schlendrian“ geschuldet war. Die zunehmende Versorgungsnot öffnete Tür und Tor für Bestechungsversuche mit Konserven, Schokolade oder Zigaretten, die die Internierten mit ihren Lebensmittelpaketen erhielten. Um der Routine des Lageralltags zu entkommen, kehrten die Landesschützen nach Dienstschluss gern auf ein Vierterl beim Sommereiner Karl-Wirt ein. Zeitgenössische Fotos illustrieren, dass sich so mancher Schütze auch unter die geselligen Runden im Kögl-Wirtshaus am Markt mischte. Besonders beliebt war jedoch das nahegelegene waldeinsame Gasthaus „Zur Hinterbrühl“, wo die Lagerleitung mit Hakenkreuzfähnchen dekorierte „Gefolgschaftsabende“ für die Wachmannschaften abhielt. Unter den Landesschützen befand sich auch mancher Mannersdorfer Reservist, der an Sonntagnachmittagen Besuch von Frau und Kindern erhielt.

Nach Hitlers Überfall auf Polen langten die ersten Kriegsgefangenen am Bahnhof Wilfleinsdorf an. Geschwächt von der tagelangen Fahrt ohne ausreichende Verpflegung marschierten sie – eskortiert von Landesschützen mit Schäferhunden – in Fünferreihen ins STALAG, wo sie am gesamten Körper geschoren und anschließend desinfiziert wurden. Die Aufnahme der Personalien dauerte meist stundenlang, da für jeden Soldaten eine eigene Karteikarte ausgestellt werden musste. Diese wies Vermerke hinsichtlich Überstellungen, Fluchtversuchen, Arbeitseinsätzen, Krankheiten und Impfungen aus. Starb der Gefangene in der Lagerhaft, wurde neben dem markanten schwarzen Kreuz sowohl das Datum als auch die Ursache seines Todes vermerkt. Jeder Internierte erhielt zudem eine viereckige, in der Mitte perforierte Erkennungsmarke ausgehändigt, die er stets um den Hals zu tragen hatte. Wieder verschwand der Mensch hinter einer Nummer! Bei der Registrierung mussten die Internierten ihr Bargeld gegen standardisierte Gutscheine eintauschen, die nur im Lager als Zahlungsmittel anerkannt wurden. Auf diese Weise wollte man Fluchtversuche der Internierten erschweren.

Nach der Registrierung wurden die meisten Kriegsgefangenen externen Zwangsarbeitskommandos zugeteilt, um die fehlende Arbeitskraft der eingerückten Männer zu ersetzen. Unternehmer und Landwirte konnten bei den „Reicharbeitsämtern“ Kriegsgefangene „anfordern“, denn aufgrund der Bestimmungen des Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 waren einfache Soldaten zur Arbeitsleistung verpflichtet, Offiziere hingegen davon ausgenommen. Während die Arbeit auf den umliegenden Bauernhöfen aufgrund der besseren Ernährungslage recht „beliebt“ war, bedeutete der Einsatz in der Perlmooser Zementproduktion körperliche Schwerstarbeit bei Rationen, die weit hinter der vorgeschriebenen Kalorienzufuhr zurückblieben. Auch die Baukommandos der Heeresverwaltung waren aufgrund schlechter Verpflegung und einem hohem Unfallrisiko gefürchtet.

Wie der Zeitgenosse Hans Kopf in seiner Mannersdorf-Chronik festhielt, leisteten polnische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter:innen Frondienste bei den Rodungsarbeiten für eine acht Kilometer lange und ein Kilometer breite Schießbahn, die sich am Kamm des Leithagebirges vom Fuchsenbründl bis nach Kaisersteinbruch erstreckte. Diese Einrichtung war für das Training an den modernen, weitreichenden Artilleriegeschützen vorgesehen. Das polnische Arbeitskommando logierte im einstigen Gasthaus „Zur Gimpelinsel“, das sich gegenüber der heutigen Pferdekoppel „Bei der Bella“ befand.

 

 

Fortsetzung folgt …

Foto 1: Das ältere Lager aus der Zeit des Ersten Weltkrieges (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 2: Das jüngere NS-zeitliche Lager (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands)

Foto 3: Ein Wachturm mit den Lagerbaracken im Hintergrund (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands)

Foto 4: Das Wachpersonal vor der Pfarrkirche von Kaisersteinbruch (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 5: Kriegsgefangene auf ihrem Marsch zum Lager Kaisersteinbruch (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands)

Foto 6: Registrierung der Kriegsgefangenen (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands)

Foto 7: Kriegsgefangene mit ihren Erkennungsmarken (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 8: Gutscheine als Zahlungsmittel im Lager (Archiv Ava Pelnöcker)